Das Mem (Neutrum; Plural: Meme) ist Gegenstand der Memtheorie und bezeichnet einen einzelnen Bewusstseinsinhalt, zum Beispiel einen Gedanken. Es kann durch Kommunikation weitergegeben und damit vervielfltigt werden und wird so soziokulturell auf hnliche Weise vererbbar, wie Gene auf biologischem Wege vererbbar sind. Ganz entsprechend unterliegen Meme damit einer soziokulturellen Evolution, die weitgehend mit denselben Theorien beschrieben werden kann.
Analog sind bei der Weitergabe Vernderungen mglich etwa durch Missverstndnis oder unterschiedliche Auffassungen wobei (uere) Umwelteinflsse die weitere Verbreitung verstrken oder unterdrcken knnen. Nach Ansicht des Wissenschaftlers Mihly Cskszentmihlyi wird ein Mem kreiert, wenn das menschliche Nervensystem auf eine Erfahrung reagiert.[1]
Die Memtheorie wird in verschiedenen Fachwissenschaften (insb. Psychologie, Sozialwissenschaften, Kulturwissenschaften), soweit sie Beachtung findet, einer zum Teil harschen Kritik unterzogen. Einerseits seien die Begriffe (Replikator, Einheit der Selektion etc.) zu unscharf definiert, um berhaupt empirisch besttigt oder widerlegt werden zu knnen, andererseits ignoriere die Memtheorie schlicht die Ergebnisse der psychologischen und sozialwissenschaftlichen Forschung.[2] Zur Umstrittenheit der Memtheorie trage darber hinaus bei, dass der Erkenntnisgewinn der Theorie unklar sei.[3]
Seit der Jahrtausendwende wird der Begriff auch oftmals in seiner englischen Schreibweise Meme fr Internet-Phnomene verwendet, die sich in sozialen Medien viral verbreiten.
Das Wort Mem ist ein Kunstwort. Es ist etymologisch dem englischen Wort gene (Gen) nachempfunden und hat mehrere weitere Bezge:
Die Begriffe Memvorlage und Memausfhrung werden in Analogie zu dem Begriffspaar Genotyp und Phnotyp aus der Genetik hufig auch als Memotyp und Phmotyp bezeichnet. Beispiel: Eine Partitur (Memotyp) wird verwendet, um Musik reproduzierbar zu machen. Die tatschlich im Konzertsaal erklingende Musik ist entsprechend der sogenannte Phmotyp.
Die englische Bezeichnung meme wurde 1976 vom Evolutionsbiologen Richard Dawkins vorgestellt; er nannte als Beispiele dazu: Ideen, berzeugungen, Verhaltensmuster. Mit diesem kulturellen Pendant zum biologischen Gen (englisch gene) veranschaulichte er das Prinzip der natrlichen Selektion, deren Grundeinheit Replikatoren von Informationen sind.[4] Die Bezeichnung Mem beschrieb er als selbst gewhltes Kunstwort, das sich auf den griechischen Terminus , Mimema (etwas Nachgemachtes) beruft.
Als Memetik wird das daraus abgeleitete Prinzip der Informationsweitergabe bezeichnet.[5][6] Das Mem findet seinen Niederschlag in der Memvorlage (im Gehirn oder einem anderen Speichermedium) und der Memausfhrung (zum Beispiel Kommunikation). Die Vernetzung von einander bedingenden Memen wurde von Dawkins zunchst als koadaptiver Mem-Komplex (coadapted meme complex) bezeichnet, was spter zum Kunstwort Memplex zusammengezogen wurde.[7][8]
Dawkins griff nach eigenem Bekunden auf die 1975 geuerten Thesen des US-amerikanischen Anthropologen F. T. Cloak ber die Existenz von Corpuscles of Culture, von Kulturkrperchen auf neuronaler Ebene, als Grundlage der kulturellen Evolution zurck. Dawkins unterscheidet nicht, ob eine Information sich auf einem DNS-Abschnitt befindet, als Gedanke im Gehirn abgespeichert, als Satz in einem Buch abgedruckt oder als gesprochenes Wort von Mensch zu Mensch unterwegs ist. Informationen vermehren sich nach Dawkins, egal, ob als Gen durch die Zellteilung und der damit einhergehenden Replikation des DNS-Strangs oder mittels Kommunikation beim Mem. Die bertragung des Mems durch Kommunikation ist dabei nicht als Kopie (Blaupause) eines Gedankens von Gehirn zu Gehirn zu verstehen, sondern indem der wesentliche Kern der Botschaft erfasst und weitergegeben wird eher wie ein Backrezept zur Reproduktion desselben Gedankens.[9] Beschreibungsmodelle von Gedanken-Memen unterliegen damit sehr hnlichen Gesetzmigkeiten wie die der Evolution in der Biologie. Dawkins spricht in diesem Zusammenhang vom universellen Darwinismus.[10]
Meme als Replikator der kulturellen Evolution weisen eine begrenzte Analogie zu anderen Replikatoren auf. Neben den Genen werden von Dawkins auch Viren, Computerviren oder Prionen genannt. Im Analogieschluss werden Prozesse der kulturellen Replikation wie in der Evolutionstheorie ebenfalls mit Variation und Selektion erklrt. Entsprechend fhre die unvollkommene Replikation zu unterschiedlichem Reproduktionserfolg verschiedener Replikatoren. Wie auch bei anderen Replikatoren kommt es zur Bildung von kollektiv-autokatalytischen Verbnden von Memen.[11]
Der Philosoph Daniel Dennett untersttzte das Konzept der Memetik in seinem Werk Darwins Dangerous Idea: Evolution and the Meanings of Life.[12] Als unabhngige, aber geistig verwandte Theorie kann die 1970 von Otto Koenig formulierte Kulturethologie bezeichnet werden. Auch sie beschftigt sich mit der Evolution von Kultur, zieht dafr jedoch nicht das Konstrukt des Mems heran, sondern arbeitet rein deskriptiv.
Von 1997 bis 2005 gab es ein regelmig erscheinendes Journal of Memetics.[13][14] Seit 2009 gibt es die alle drei Monate erscheinende Zeitschrift Memetic Computing.[15]
Durch die Mem-Hypothese lassen sich Teilaspekte der Evolution der Vogeldialekte erklren. Verschiedentlich wird auch versucht, mit Anstzen der Memetik komplexe soziale Phnomene wie Sprachwandel oder die Ausbreitung verschiedener missionarischer Religionen und Kulte zu erhellen. Auerdem zeigen die Vertreter dieser Hypothese koevolutive Korrespondenzen zwischen genetischer und memetischer Evolution (Hirnentwicklung) auf.
Zur Veranschaulichung des Konzepts nennt Dawkins die monotheistische Festlegung auf einen Gott einen erfolgreichen kulturellen Replikator (gemessen z.B. an seiner Verbreitung), whrend z.B. der Glaube an die Wirkung von Regentnzen sich nicht global durchsetzen konnte, irgendwann sogar einer kulturellen Auslese zum Opfer fiel und nun ein Nischendasein fhrt. Dabei kann das Mem nur ein Gott als Teil eines auerordentlich groen Verbandes sich gegenseitig sttzender Meme gesehen werden und die jeweilige Religion damit als Memplex. Diese Idee wird vom Romanautor Wolfgang Jeschke in seinem 2013 erschienenen Buch Dschiheads aufgegriffen, in dem er von der Zukunft auf die Jetztzeit und ihre religisen Auseinandersetzungen, insbesondere um den militanten Islamismus, blickt.
Nach Susan Blackmore ist die Essenz eines jeden Memplexes die, dass sich Meme in ihrem Innern als Teil der Gruppe besser replizieren als auf sich allein gestellt.[16] Als Beispiel fr einen Memplex nennt sie den Kettenbrief, der typischerweise folgende Ideen enthlt:[17]
Fr sich alleine htte jedes dieser Meme relativ schlechte Chancen, sich innerhalb einer Gesellschaft zu verbreiten. Als Gruppe sind sie jedoch hufig geeignet, eine gewisse Anzahl von Personen von der Wichtigkeit ihrer Verbreitung zu berzeugen.
Mit ihrer analogen Anwendung des Evolutionsmechanismus auf geistige und kulturelle Prozesse setzt die Memtheorie voraus, dass Meme in vergleichbarer Weise wie Gene diskrete Einheiten sind, die sich von anderen Memen klar abgrenzen lassen; ansonsten liee sich die Einheit der Selektion nicht bestimmen. Dies wird aber von Kulturwissenschaftlern und Psychologen bestritten.[18][19] Weiterhin setzt Dawkins Modell kultureller Evolution eine relativ hohe Kopiergenauigkeit voraus, die nur in Ausnahmefllen durch Fehler und Ungenauigkeiten zu Mutationen fhrt. Anders lsst sich von der Memtheorie die hohe Konstanz kultureller Reprsentationen nicht erklren.[20] Die Aneignung kultureller Reprsentationen durch Individuen erfolgt allerdings nur in seltenen Grenzfllen ohne eine Transformation.[21] Eine empirische Untersuchung von Scott Atran hat gezeigt, dass normale Studenten etwa bei der Wiedergabe von Sprichwrtern die metaphorische Bedeutung erfassen und diese sinngem wiedergeben, wohingegen Autisten sich lediglich auf die wrtliche Bedeutung beziehen und mit sprachlichen uerungen am ehesten kopierend umgehen.[22] Unter anderem wegen dieser schwachen wissenschaftlichen Fundierung konnte sich die Memtheorie in den Sozialwissenschaften bisher nicht durchsetzen, sondern ist vor allem von der ffentlichkeit breit rezipiert worden.[23]
Unklar ist, welcher Erkenntnisgewinn sich aus den Anleihen des Memkonzepts bei der biologischen Evolutionstheorie fr die geistes-, sozial- und kulturwissenschaftliche Forschung ergeben knnte. So waren nach Auffassung des Psychologen Gustav Jahoda die berzeugenden Elemente von Blackmores Memtheorie bereits im 19. Jahrhundert bekannt, die neueren Elemente jedoch spekulativ und hchst fragwrdig.[24] Wird mit der Mem-Hypothese der Anspruch erhoben, soziale und kulturelle Entwicklungen in einer Weise zu analysieren, die dem naturwissenschaftlichen Verstndnis der Realitt entspricht, so muss die Memetik zeigen, dass sie zu anderen, weiterreichenden und belastbareren Aussagen gelangen kann als die Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften herkmmlicher Art. Wenn Mem dagegen eine naturalisierende Wortneuschpfung fr Ideen oder Gedanken ist, muss Ockhams Rasiermesser zum Einsatz kommen: Entitten sollen nicht unntig vervielfacht werden.
Anders als im Disput ber die biologische Evolutionstheorie knnen Kritiker der Memtheorie darauf verweisen, dass es fr die Existenz von Memen und ihre Replikationsmechanismen anders als fr Gene bislang keine empirischen Belege gibt.[25][26] Selbst wer die Memtheorie als plausibel erachtet, muss daher nach empirischer Evidenz fragen.
Auch wurde kritisiert, dass sich die Memetik nicht mit einer materialistischen Ontologie im Einklang befindet:[2] Die Anhnger der Memetik versprechen sich von ihrem Ansatz eine selektionstheoretische Erklrung der Weitergabe und Ausbreitung von Ideen. Die Memetik ist jedoch zum einen konzeptionell so unklar, dass sie an Sinnlosigkeit grenzt, zum anderen ignoriert sie praktisch die gesamte psychologische und sozialwissenschaftliche Forschung zur menschlichen Kommunikation (). Idealistische Fantasien werden nicht dadurch akzeptabler, dass sie in evolutionsbiologischem Gewande daherkommen.
See the rest here: